Seit dem letzten Jahr hat sich die Cancel Culture zum regelrechten Schreckgespenst des Internets entwickelt. Egal ob Unternehmen oder Privatpersonen: heutzutage ist jeder angreifbar. So stellt sich die Frage, wie Unternehmen das Internetphänomen angehen und verhindern können, selbst „gecancelt“ zu werden.
Auf die Hoffnung hin, eine schnelle Kurskorrektur herzuleiten, ist die Antwort vonseiten der „gecancelten“ Unternehmen im konkreten Fall meist überhastet. Mintel-Studien zeigen, dass es sich für Firmen lohnt, in proaktive Strategien zu investieren, anstatt sich einzig auf kurzfristige Schadensbegrenzung zu fokussieren. Dazu gehört ein fundiertes Verständnis der eigenen Kundengruppen sowie ihres Images und der Unternehmenswerte.
Du bist, was du kaufst
Treibende Kraft der Cancel Culture ist der zunehmende Glaube, dass „man ist, was man kauft“ („You are what you buy“). Viele Verbraucher sehen ihre eigenen Kaufentscheidungen als repräsentativ für ihre Identität und ihre Wertevorstellungen. Aufgrund dieser Überzeugung versuchen einige Konsumenten, Firmen mittels Social Media zur Verantwortung zu ziehen.
Während manche nicht in der Lage oder daran interessiert sind, ihren ethischen Vorstellungen entsprechend Einkäufe zu tätigen, möchte mehr als die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung Unternehmen unterstützen, deren Werte mit ihren eigenen übereinstimmen. Mintel zufolge handelt es sich dabei um einen Trend, der künftig noch stärker an Zugkraft gewinnen wird.
Verantwortung in Übereinstimmung mit den Unternehmenswerten
Die Erwartungen an Unternehmen, die heutigen Herausforderungen anzugehen und zu lösen, waren noch nie so hoch wie heute. Durch Aufrechterhaltung konsistenter Markenwerte als Teil des Reputationsmanagements können Marken kontroverse Themen und Ereignisse besser auf eine Art und Weise steuern, die authentisch und der Markenpersönlichkeit angemessen ist.
Das Vertrauen der Verbraucher in alle Arten von Institutionen ist auf einen historischen Tiefstand gesunken, was vielerlei Konsequenzen nach sich zieht. Aufgrund des mangelnden Vertrauens in staatliche Stellen erwarten die Verbraucher von Unternehmen, die Probleme der Welt zu lösen. Somit sehen sich Unternehmen und Marken heute mit einer stärkeren gesellschaftlichen Rolle konfrontiert. Indem sie diese Ansprüche und Erwartungen erfüllen, können Unternehmen und Marken die Kundenloyalität und ihr Image stärken – und sich von Wettbewerbn abheben.
Verantwortlichkeit in der Praxis
Sowohl Nike als auch die Citibank liefern interessante Beispiele dafür, wie Unternehmen mit Cancel Culture umgehen und sich für gesellschaftlich relevante Themen stark machen können.
Nikes Unterstützung von Colin Kaepernick
Colin Kaepernick ein amerikanischer Spieler des American Football und Aktivist, der gegen Polizeigewalt gegen Schwarze und für ethnische Gleichstellung kämpft. 16 erregte er Aufsehen, als er sich im Vorfeld eines Spiels weigerte, die amerikanische Nationalhymne zu singen und sich stattdessen aus Protest gegen Rassismus niederkniete – eine Aktion, die mediales und politisches Aufsehen erregte.
Durch die Partnerschaft mit Colin Kaepernick bewies Nike, wie wichtig es ist, zu wissen, wofür die eigene Marke steht, und welche Belange die eigene Zielgruppe unterstützt.
Am 3. September 2018 gab Colin Kaepernick auf Twitter die Kooperation mit Nike mit folgenden Worten bekannt: „Glaube an etwas, auch wenn es bedeutet, alles zu opfern #JustDoIt.“ Wenige Tage später veröffentlichte Nike den von Kaepernick eingesprochenen Werbefilm „Dream Crazy“, der Teil der „Just Do It“-Jubiläumsreihe war.
Die Kampagne zahlte sich in mehrfacher Hinsicht aus: 40 Prozent der Markenbekanntheit war positiv und führte letztlich zu einer Steigerung der Verkaufszahlen. Auch wenn die Kampagne kurzfristig einige Verbraucher verärgerte, profitierte Nike langfristig von der damals teilweise als provokant wahrgenommenen Werbung – schließlich bewies die Marke damit, dass sie gesellschaftlich relevant ist und öffentlich ihre Werte vertritt.
Citis Unterstützung von Justin Thomas
Justin Thomas, ein Golfspieler des Citibank-Teams, erregte zu Beginn des Jahres Aufsehen, als er während eines PGA-Turniers einen Putt verschoss und dabei eine homophobe Beleidigung fallen ließ. Obwohl er sich kurz darauf im Fernsehen entschuldigte, kündigten viele große Sponsoren zeitnah die Zusammenarbeit mit dem Sportler. Anstatt die Beziehung zu Thomas zu beenden, beschloss die Citibank, die sich als starker Befürworter der LGBTQ+-Gemeinschaft positioniert, den Moment zu nutzen, um mit Thomas zusammenzuarbeiten und langfristige Veränderungen zu schaffen.
Citi erklärte, mit Thomas zu kooperieren und seine Social-Media-Plattform dafür nutzen zu wollen, um gegen Antidiskriminierung zu vorzugehen und die LGBTQ+-Gemeinschaft zu unterstützen. Allerdings nur unter der Bedingung, dass Thomas einen „bedeutenden Teil“ seiner Sponsoring-Einnahmen für 2021 an LGBTQ+-Organisationen spendet.
Citibank traf diese Entscheidung nicht leichtfertig, wollte jedoch nicht untätig danebenstehen. Das Unternehmen riskierte mit der Aktion, einen Teil seines Kundenstamms zu entfremden. Das Unternehmen begründete die Handlung damit, Thomas angemessen zur Verantwortung ziehen zu wollen, um langfristig einen sozialen Wandel herbeizuführen.
Unser Fazit
Die Motivation, die hinter der Cancel Culture steht, wird in absehbarer Zeit nicht abflauen. In den letzten Jahren haben sich die ethischen Standards der Verbraucher für Marken und der Wunsch, Marken zur Verantwortung zu ziehen, weiter verstärkt. Eine der größten Lehren aus dem Jahr 2020 ist, dass wir uns stets mit einer „nächsten Normalität“ konfrontiert sehen, die die Art und Weise, wie Menschen über soziale Unternehmensverantwortung und Markenethik denken, infrage stellt. So wie sich die Gesellschaft weiterentwickelt und verändert, muss dies auch für Unternehmen geschehen. Firmen, die ihre Verantwortlichkeit proaktiv anpacken und den gesellschaftlichen Wandel mitgestalten, werden für die Zukunft gut gerüstet sein.
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