Wenn es im Leben eine Konstante gibt, dann ist es der unaufhörliche Wandel. Seit Neustem wackelt das sorgfältig kuratierte Bild des „Clean Girls“. Als Gegenentwurf dazu versprechen der dynamische „Brat Summer“ und der „Indie Sleaze“-Trend Freiheit und ein Leben ohne Filter. Weit entfernt von Perfektion und jeglichem Anpassungszwang bieten sie eine erfrischende Ruhepause für Verbraucher:innen und einen neuen Blickwinkel für Marken.
Vom „sauberen Mädchen“ und der Pandemie
Ein seidig glänzender Dutt, pastellfarbene Pilates-Outfits und ein akribischer Drang zur Selbstfürsorge – was früher der Saubermann war, ist heute das Clean Girl. Für eine nahezu flächendeckende Idealisierung des Clean Girls sorgte COVID-19. Während Verbraucher:innen Zuflucht in sozialen Medien suchten, um Isolation und Langeweile zu bewältigen, entwickelte sich das Clean Girl zur Gallionsfigur eines neuen Lebensstils rund um Wellness und Reduzierung. Der Trend betont ein aufgeräumtes Zuhause, aufwendige Beauty-Routinen und ein blitzblankes Erscheinungsbild. Das fand besonders bei all denjenigen Anklang, die sich in unsicheren Zeiten nach festen Strukturen sehnten. Die Beständigkeit des Trends spiegelt überdies einen größeren kulturellen Wandel wider, bei dem Selbstfürsorge und mentale Gesundheit zunehmend im Mittelpunkt stehen.
Das Dilemma der Perfektion
Obwohl Selbstfürsorge und das Streben nach persönlichem Wachstum zweifellos edle Ziele sind, besteht die Gefahr, dass die Clean Girl-Ästhetik unrealistische Standards setzt. Als Lebensstil führt der Trend paradoxerweise schnell zu Überkonsum, was im Widerspruch zu seinen minimalistischen Idealen steht. Zudem kultiviert er eine(n) Kult(ur) des Perfektionismus, drängt Individualität und persönliche Entscheidungsgewalt in den Hintergrund und steht für eine starre Definition von Weiblichkeit. Der Druck, diesem Ideal zu entsprechen, kann ungesunde Gewohnheiten schaffen und echtes Empowerment letztlich im Keim ersticken.
Bye bye, Barbie
Im Sommer 2023 eroberte der Barbie-Wahn die Popkultur im Sturm, befeuert von plakativen Modetrends und einer nostalgische Rückkehr zur Kindheit. Obwohl das „Barbiecore“-Phänomen Selbstinszenierung und Kreativität durchaus zelebrierte – und mancherorts als feministisch gefeiert wurde – spiegelte es auch einige der unerreichbaren Standards wider, die in der Clean Girl-Ästhetik zu finden sind. Barbie, mit ihrem makellosen Körper, glamourösen Lebensstil und unerschütterlichem Lächeln, setzt haushohe Maßstäbe für Schönheit und Erfolg. Dem nachzueifern, kann knallpinke Euphorie schnell in ein zwanghaftes Streben nach Perfektion umschlagen lassen. Ähnlich wie das Clean Girl birgt auch Barbie das Potenzial, die eigene einzigartige Identität als Makel zu betrachten.
Vorhang auf für Indie Sleaze
Auf den ersten Blick scheinen Barbies pinke Welt und die düstere Anziehungskraft des Indie Sleaze nichts gemeinsam zu haben, doch beide sind durch ein nostalgisches Gefühl verbunden. Barbie weckt Kindheitserinnerungen und versetzt die Verbraucher:innen in eine Zeit voller Unbeschwertheit, Kreativität und Spielfreude. Im Gegensatz dazu verkörpert Indie Sleaze die Ästhetik und Einstellungen der frühen 2000er Jahre. Optisch ist der Look durch Vintage-Mode, grafische T-Shirts und einen vielschichtigen Stilmix gekennzeichnet, der mit bewusst unordentlichem Haar und Make-up kombiniert wird (man denke an Effy Stonem, Cory Kennedy und natürlich Pete Doherty). Der Trend steht stellvertretend für ein starkes Bedürfnis nach Rebellion und Individualität, weshalb er sowohl bei der Generation Z als auch bei den Millennials Anklang findet. Für Letztere bietet der Indie Sleaze eine nostalgische Flucht zurück in die prägenden Jugendjahre.
Die Bedeutung des Brat Summer
Anstatt auf Nostalgie als Bewältigungsmechanismus zu setzen, bietet der Brat Summer eine alternative Antwort auf gesellschaftliche Zwänge. Während sowohl Brat Summer als auch Indie Sleaze die konstruierten Bilder ablehnen, die einen Großteil der sozialen Medien ausmachen, zelebriert der „bratty“ Lebensstil ungefilterte Selbstdarstellung im Hier und Jetzt.
Der von Künstlerinnen wie Charli XCX, Julia Fox und Gabbriette popularisierte Trend ermutigt alle geneigten Verbraucher:innen, sich nach Lust und Laune zu kleiden und zu stylen – insbesondere wenn es traditionellen Schönheitsnormen widerspricht. Von chaotisch aufgetragenem Eyeliner bis hin zu DIY-Nagelkreationen – der Brat-Summer steht für eine Rebellion gegen die Übermacht gesellschaftlicher Zwänge und die Kommerzialisierung der Weiblichkeit. Im Gegensatz zum „Hot Girl Summer“ von 2019 und dem „Feral Girl“ (2022 ) ist er weniger offensiv sexy und mehr auf Selbstermächtigung durch Selbstdarstellung ausgerichtet. Er ist auch weniger konsumorientiert als Barbiecore oder die Clean-Girl-Ästhetik. Laut Charli XCX „kann ein Brat Summer […] ziemlich luxuriös sein, aber auch extrem trashig. Nur eine Packung Zigaretten, ein Bic-Feuerzeug und ein weißes Top ohne BH. Das ist eigentlich alles, was man braucht.“
Beauty wird bratty – aber wie?
Die Brat-Bewegung bietet Beauty-Marken die Chance, ihre Marketingstrategie und den Umgang mit Verbraucher:innen zu überdenken. Um den Trend authentisch aufzugreifen, sollten Marken:
- Unperfektes zelebrieren: Echte Menschen zeigen anstelle aufpolierter Bilder. Ein möglichst breites Spektrum an Hauttönen, Altersgruppen, kleinen Schönheitsfehlern (einschließlich Pickeln) und Lebensstilen, zum Beispiel nachtaktive Partygirls, schafft eine authentische Verbindung zu Verbraucher:innen.
2. Zum Selbermachen anregen: Kreativität fördern und Produkte anbieten, die Personalisierung ermöglichen und die Experimentierfreude stärken. Denkbar wären zum Beispiel ein Lippenstift-Bausatz, ein „Eigenduftverstärker“ und bunte Perlen aus Tapioka, die in Feuchtigkeitscreme gemischt werden können. Indem sie Verbraucher:innen die Möglichkeit geben, ihre ganz persönlichen Schönheitsmomente aktiv zu gestalten, können Marken den spielerischen Geist des Brat-Trends wirkungsvoll aufgreifen.
- 3. Gemeinschaft fördern: Soziale Medien nutzen, um einen echten Dialog mit den Verbraucher:innen zu gestalten. Interaktive Inhalte, nutzergenerierte Kampagnen und gemeinsam entwickelte Produkteinführungen schaffen Communitys und einen geschützten Rahmen für den ungestörten Selbstausdruck.
- 4. Zusammenarbeit priorisieren: Mit Künstler:innen, Influencer:innen und Creator:innen zusammenarbeiten, die den „Brat Spirit“ auf vielfältige Weise verkörpern und repräsentieren. Gezielte Kooperationen erhöhen die Glaubwürdigkeit und erreichen gleichzeitig neue Zielgruppen.
- 5. Spaß haben: Von hochpigmentierten Farben bis zu phallusförmigen Lippenstiften – eine echte Brat wird von allem angezogen, was Spaß macht, und einen Hauch von Hedonismus versprüht. Fantasievolle und besondere Produkte, die sich selbst nicht allzu ernst nehmen, können die Freude an Beauty neu entfachen.
Durch das Umsetzen dieser Strategien können Beauty-Marken den Brat Summer für sich nutzen und gleichzeitig ihr Engagement für Authentizität und Individualität überzeugend vermitteln. Dieser Ansatz schafft authentische Berührungspunkte für Verbraucher:innen und stärkt so die Markentreue.